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Geburtshausfall

Aufsatz von RA Korioth zum BGH Urteil vom 07.12.2004 (VI ZR 212/03, Hamm)
veröffentlicht in VersR 2005, Seite 408


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Gebutshausfall

BGH, Urteil vom 07.12.2004 (VI ZR 212/03, Hamm) veröffentlicht in VersR 2005, Seite 408


Der Bundesgerichtshof hatte sich mit einem Fall zu beschäftigen, in dem die Haftung der Betreiberin eines Geburtshauses für Fehler des insofern weisungsberechtigten zugezogenen Geburtshelfers zu beurteilen war.

1. Sachverhalt: Die unter anderem beklagte Hebamme war Betreiberin eines Geburtshauses. Im Prospekt des Geburtshauses warb sie unter anderem damit, dass die Sicherheit gewährleistet sei durch ein Team von erfahrenen Hebammen, welches ergänzt wird durch ortsansässige und schnell verfügbare Gynäkologen, Anästhesisten und Kinderärzte. Im Übrigen stünden für unmittelbare Notfälle hauseigene Operationsräume bereit. Die Mutter des klägerischen Kindes stellte sich auf Überweisung des die Schwangerschaft behandelnden Gynäkologen im Januar 1997 im Geburtshaus vor. Aufgrund sich anbahnender Komplikationen wurde dieser Gynäkologe im Geburtshaus durch die beklagte Hebamme zugezogen und ordnete eine vaginal-operative Entbindung durch Vakuumextraktion an. Nach Beginn der Extraktion dauerte es 65 Minuten, bis der Kläger geboren wurde. Er ist körperlich und geistig schwerst behindert. Die Gutachter haben im Verfahren das ärztliche Handeln als das "Reißen eines Verrückten über 65 Minuten" bezeichnet. Der ursprünglich mit verklagte Geburtshelfer hatte keine Haftpflichtversicherung für seine Tätigkeit abgeschlossen. Während des Rechtsstreites war im Übrigen über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Das Verschulden des Arztes war klar, die Ansprüche sind zur Insolvenztabelle angemeldet worden, ob sie realisiert werden können, ist äußerst fraglich. Entscheidend ist, ob auch die Hebamme in ihrer Funktion als Betreiberin des Geburtshauses haftet. Nur über diese Haftungszuweisung kann der Kläger seine Haftungsansprüche realisieren.

2. Das OLG Hamm hat die Ansprüche gegen die beklagte Hebamme abgewiesen mit der Begründung, dass sie grundsätzlich nach Übernahme der Behandlung durch einen Arzt weisungsabhängig und dem Arzt grundsätzlich untergeordnet, demnach seine Gehilfin ist. Für diesen Fall ist sie nach der gängigen Rechtsprechung von einer eigenen Verantwortung grundsätzlich befreit.

Der BGH moniert, dass mit dieser Einengung des Blickwinkels auf diese Funktion der Beklagten bei der Entbindung nach Einschaltung eines Arztes die Doppelfunktion nicht hinreichend berücksichtigt wurde, die der beklagten Hebamme aus dem Betreiben des Geburtshauses einerseits und ihrer geburtshilflichen Tätigkeit als Hebamme andererseits zukam. Das OLG hätte prüfen müssen, ob der Beklagten eigene vertragliche Pflichten (Organisationspflichten) als Betreiberin des Geburtshauses gegenüber der Patientin zukamen, insbesondere ob nach dem Inhalt des Vertrages alle medizinisch erforderlichen Maßnahmen der Geburtshilfe einschließlich des ärztlichen Beistandes und ggf. eine erforderlichen Verlegung geschuldet waren. Letzteres hätte insbesondere Bedeutung für die Beurteilung des ärztlichen Handelns, dann nämlich, wenn dieser Arzt als Erfüllungsgehilfe der Beklagten anzusehen ist mit der Folge, dass seine schweren Fehler der Hebamme als Betreiberin des Geburtshauses zugerechnet werden. Maßgebend dafür ist allein das rein tatsächliche Moment, dass der Schuldner (Hebamme) sich im eigenen Interesse eines Dritten (Geburtshelfers) zur Erfüllung seiner eigenen Pflichten bedient. Der BGH hat begründet, dass in diesem speziellen Fall genau diese Annahme nahe liegt und die Sache zur weiteren Aufklärung zurückverwiesen. Dabei hat der BGH Hinweise gegeben, die für die Beurteilung des Vertragsverhältnisses einer ein Geburtshaus betreibenden Hebamme zu ihren Patientinnen maßgeblich sind. Er hat insbesondere begründet, dass der Hinweis im Prospekt für solch umfassende Pflichtenstellung der Betreiberin spricht. Im Rahmen dieser ihrer vertraglich anzunehmenden Organisationspflichten hätte die Beklagte eine selbständige und von den Weisungen zugezogener Ärzte unabhängige Stellung, für die sie allein verantwortlich ist. Daraus kann sich eine Haftung für Fehler des Arztes ergeben, wenn dieser zur Erfüllung der Vertragspflichten des Geburtshauses aus einem umfassenden Aufnahmevertrag eingeschaltet worden ist. Die Beklagte als Betreiberin des Geburtshauses kann sich ebenso wie ein Krankenhausträger vertraglich gegenüber der Patientin verpflichten, die in Aussicht gestellten ärztlichen Leistungen durch einen weisungsfreien und ihr gegenüber fachlich weisungsberechtigten Erfüllungsgehilfen zu erbringen und im Übrigen organisatorisch für einen fachgerechten Ablauf der Geburtshilfe zu sorgen und einzustehen.

3. Diese haftungsrechtliche Zuweisung fehlerhaften Verhaltens eines zugezogenen Arztes an die Betreiberin eines Geburtshauses führt zur Haftung aufgrund Schlechterfüllung des Geburtshausaufnahmevertrages. Schadensrechtlich bedeutet dies, dass der materielle Schaden zu ersetzen ist, nach der Schuldrechtsreform auch der immaterielle Schaden.

Wichtig ist an dieser Entscheidung, dass sich die Betreiberin eines Geburtshauses oder die Betreiberinnen eines Geburtshauses in Form einer BGB-Gesellschaft auch für zugezogene Ärzte, die erhebliche Fehler machen, haftungsrechtlich nicht mit dem Argument herausreden können, dass sie ja dem Arzt gegenüber nicht weisungsbefugt sind, im Gegenteil als dessen Gehilfin weisungsverpflichtet sind. Aufgrund eigener Organisationspflichten der Geburtshausbetreiber sind sie haftungsrechtlich für ein Verschulden des Arztes dann verantwortlich, wenn dieser als Erfüllungsgehilfe der Geburtshausbetreiber aufgrund der Vertragsgestaltung anzusehen sind.

4. Im Übrigen hat der Bundesgerichtshof Hinweise geprüft, die darauf deuten, dass auch aufgrund eigenen groben Organisationsverschuldens eine persönliche Haftung in Betracht kommt, nämlich z. B. eine Remonstrationspflicht bei erkennbar grob fahrlässiger ärztlicher Behandlung. Diese greift auch dann, wenn die Hebamme im Hinblick auf die übergeordnete Kompetenz des Arztes nicht einschreitet, wenn die Behandlung des Arztes grob fehlerhaft ist und die damit einhergehenden Gefahren vermeidbar und gravierend sind.

5. Kommentar: Mit dieser Entscheidung hat der Bundesgerichtshof sich – soweit ersichtlich – erstmals mit dem Pflichtenkreis eines Geburtshauses auseinandergesetzt und klargestellt, dass umfassende Organisations- und Leistungspflichten bestehen bis hin zur Mithaftung für Fehler des zugezogenen externen Geburtshelfers. Eine Beschränkung der Hebammen nach Übernahme der Behandlung durch den Arzt mit Hinweis auf das Weisungsgefüge scheidet nach dieser Entscheidung aus. Das heißt, dass besondere Sorgfalt darauf gelegt werden muss, welche tatsächlichen Leistungen Vertragsinhalt werden. Wenn eine vertragliche Haftung von Geburtshausbetreibern ausscheiden soll, dann muss klipp und klar den Patienten mitgeteilt werden, dass für den Fall der ärztlichen Fortführung der Geburt die Vertragsleistung des Geburtshauses endet. Prospekte oder sonstige Verabredungen zum Vertragsinhalt müssen sich auf reine Hebammentätigkeiten beschränken mit der Folge, dass noch sensibler mit einer rechtzeitigen Verlegung bei beginnender Pathologie der Geburt oder Erkennbarkeit einer Möglichkeit derselben umzugehen sein wird.

Wenn gerade mit Sicherheit insofern geworben wird, dass externe Ärzte zugezogen werden, dann muss damit gerechnet werden, dass Fehler der zugezogenen Ärzte den Betreibern des Geburtshauses zugerechnet werden. Um dies zu vermeiden, müssen Geburtshäuser sowohl ihre Prospekte, als auch die Konkretisierung der Vertragsinhalte aus meiner Sicht neu überdenken und der konkreten Rechtslage anpassen, so denn eine Mithaftung für Fehler der zugezogenen Ärzte vermieden werden soll.

Hennef, 01.04.2005

Jürgen Korioth
Rechtsanwalt



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